bulla-blog
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Zeitgeist:
Handy & Co.  📱

Übersicht

  • Auf Smartphone geprägt
  • Wie die Zeit vergeht ...
    Und wie einem Smartphones dabei helfen, den Überblick zu behalten
  • Autokorrektur
    Zitat
  • Geschichten, die das Smartphone schreibt ...
  • Die Urgroßeltern des Smartphones
  • Dialoge
  • Buch vs. Smartphone
  • Hinterm Mond
    Timo Beil über das seltsame Verhältnis des Menschen gegenüber Mobiltelefonen
  • Smombies
    Krankhafter Zeitgeist

Auf Smartphone geprägt

Als ich dieser Tage duch den Ort geradelt bin, sind mir innerhalb einer Stunde insgesamt drei Mütter – Alter ca. zwischen Mitte 20 und Mitte 30 – mit Kinderwagen begegnet. Jede von ihnen hielt ein Smartphone vor sich in der einen Hand, während sie mit der anderen den Kinderwagen schob. Eine von ihnen war am telefonieren, die anderen beiden am surfen oder am chatten. So, wie die Ladys die Smartphones in der Hand hielten, war mir klar: Das, was die Babys aus dem Inneren des Kinderwagens heraus zu sehen bekamen, waren wohl hauptsächlich die Smartphones.

Man kennt das Prinzip ja u. a. von Wasservögeln: Auf das Lebewesen, das sie zuerst wahrnehmen, sind sie geprägt. In der Regel ist das das Muttertier, kann aber auch schon mal ein Mensch sein, wenn sich dieser aus irgendeinem Grunde um die Brut kümmern musste. Und so sind die Flattermänner emotional ein Leben lang auf diesen Erstkontakt eingeschossen.

Da frage ich mich, ob die drei Menschen-Babys jetzt wohl auf die Smartphones geprägt sind, wo sie doch während des Spaziergangs (und wer weiß, wann sonst noch!?) offenbar mehr das Smartphone zu Gesicht bekommen als ihre Mütter. Hören dann die heranwachsenden Kinder bald mehr auf das, was das Smartphone zu vermelden hat als ihre Erzeugerinnen? Vielleicht gibt es irgendwann auch eine App, die die Erziehungsarbeit übernimmt, während sich die Mütter um vermeintlich wichtigere Dinge kümmern. Das Paradoxe ist ja, wenn die Kinder dann im Kindergarten- oder Grundschulalter sind, entwickeln sich die Kompostis zu Helikopter-Eltern, die ihre Kids kaum mehr aus den Augen lassen (außer wenn sie mal wieder dringend aufs Smartphone glotzen müssen).

Das, was ich heute während meiner Radfahrt gesehen habe, ist nichts Neues für mich: Ständig sehe ich Kinderwagen schiebende Mütter, die sich genauso verhalten. Nur noch selten sieht man (tendenziell eher jüngere) Menschen, die zu Fuß unterwegs sind und gerade kein Smartphone in der Hand haben. Was für eine neuartige Seuche ist das eigentlich, dass man nicht mehr herumlaufen kann, ohne aufs Display zu glotzen. Ist das Leben und auch die Umwelt so langweilig geworden, dass man sich dringend anderweitig bespaßen muss?

Inzwischen mache ich mir jedenfalls einen Spaß daraus, wenn ich auf dem sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer vorgesehenen Gehweg unterwegs bin und mir ein verkehrsblinder „Smombie“ entgegenkommt: Erst ganz kurz vor solch einem zeitgeistigen Kretin lege ich eine Vollbremsung hin und sehe mit etwas gehässiger Freude, wie erschrocken mein Gegenüber dreinblickt. Leider ist noch niemandem vor Schreck das Smartphone aus der Hand gefallen.

Übrigens: Wer nicht weiß, was „Smombies“ und „Kompostis“ sind, findet die Begriffe in meinem kleinen Jugendsprache-Lexikon.



Wie die Zeit vergeht ...

Und wie einem Smartphones dabei helfen,
den Überblick zu behalten

Smartphone-Apps sind doch eine tolle Erfindung! Kurz vor Weihnachten stolperte ich in meinem App-Bezugsportal über eine nette kleine Anwendung namens „Day Counter Widget“. Diese zeigt an, wie oft man noch schlafen muss, bis ein bestimmtes Ereignis eintritt. Für Freunde der Vergangenheit gibt es auch die Möglichkeit, die Anzahl der Tage zu ermitteln, die ein Ereignis bereits her ist.

Letzteres probierte ich – obwohl nicht unbedingt ein Freund der Vergangenheit, sondern mehr in der Realität und der Fantasie zu Hause – gleich mal aus und gab das Datum des Tages ein, an dem sich meine Frau und ich kennenlernten. Es ist schon erstaunlich, dass es Menschen gibt, die man schon weit mehr als 10.000-mal nicht nur gesehen, sondern live und hautnah erlebt hat und derer man nicht überdrüssig wird, während man andere, die man lediglich von der Glotze her kennt (wie z. B. Stefan Raab oder Helene Fischer, um nur einige wenige zu nennen) schon nach wenigen Malen echt nicht mehr sehen kann.

Leider reicht der Funktionsumfang der App nur bis zum 1. Januar 1900 zurück, sodass man weder ermitteln kann, wie lange es her ist, dass Christoph Columbus Amerika entdeckte noch die Anzahl der Tage bis zum 30-jährigen Krieg. Aber mit dieser Einschränkung muss ich wohl leben. Immerhin konnte ich erfragen, wie weit das Ende des Zweiten Weltkrieges bereits zurückliegt (weit über 25.000 Tage).

Ich würde mich weder als Fan noch als ganz entschiedener Gegner von Weihnachten bezeichnen (wenn überhaupt, hasse ich das viele Aufhebens, das um Weihnachten gemacht wird, zumal das angebliche „Fest der Liebe“ immer mehr zu einer kommerziellen Veranstaltung verkommt). Dennoch fiel mir an Heiligabend nichts Besseres ein, als meine neue App zu fragen, wie viele Tage noch bis Weihnachten übrig sind. Da das Folgejahr ein Schaltjahr ist, antwortete das Programm wahrheitsgemäß mit „366 days left“. Angesichts der anderen bereits ermittelten Zeiträume ein Klacks! Ein Jahr ist eben immer schnell um – deswegen sollte ich mir wohl doch schon mal langsam Gedanken über Weihnachtsgeschenke machen ...


AUTOKORREKTUR

„Was ich an der Autokorrektur Hase, ist die Tatwaffe,
daß sie ständig falsche Wärter hinscheißt,
obwohl ich die richtigen anzicke.
Das ist nicht luftig und kostet viel Zweig
und die will ich ja eigentlich Sparkurs.
Mus ja mal gesägt werden!“




Geschichten, die
das Smartphone
schreibt ...

(Grafik: © Frank R. Bulla)

Wer kennt nicht diese merkwürdige Eigenart von virtuellen Smartphone-Tastaturen, die – während man gerade einen Text eingibt – zur Vereinfachung der Eingabe Wörter vorgibt, die als nächstes gebraucht werden könnten, wobei das Wort, das Priorität haben könnte, farblich markiert ist (in meinem Falle türkisfarben – siehe Abb.!). So bin ich heute mal auf die Idee gekommen, einen Text zu schreiben, für den ich lediglich diese grün markierten Wörter benutze. Hier das Ergebnis:

  • „Und ich bin seit dem ich mich nicht mehr so viel wie möglich zu halten, aber zehn Minuten später ging's weiter - bis sich andere beschwerten. Sonntag, 21. Januar - ca. 09:00 während des Frühstücks rund 10 Min. sehr lautes Staubsaugen in einer Hälfte des bestuhlten Teils des Gastraumes Donnerstag, 18. Januar ...“

Während sich der Text so entwickelte, kamen mir einzelne Wörter doch so sehr bekannt vor, dass ich sie einer ganz bestimmten Geschichte, die ich im Laufe der letzten Jahre mal geschrieben habe, zuordnen konnte, wenngleich der Wortlaut nicht exakt übernommen worden war; der Grund dafür ist wohl u. a. darin zu suchen, dass ich den Entwurf für die Geschichte seinerzeit während eines Urlaubs direkt in mein Smartphone getippt hatte. Merkwürdig ist allerdings, dass sich diese Entwurfsdatei schon lange nicht mehr auf meinem Smartphone befunden hat.

Der mehr oder weniger interessante Part des Textes, den sich mekn Smartphone aus den Tiefen seiner Innereien zusammenreimte, endete allerdings recht plötzlich mit dem Text „Donnerstag, 18. Januar“ – denn ab da wurden Teile des bisherigen Textes nur noch wiederholt. Wie schade! Hatte ich mir doch so sehr erhofft, auf diesem Wege mal eine Geschichte zu entwickeln, ohne dass ich mehr tun muss als auf die grüne Zeichenfolge zu klicken. Ich muss sagen: Ich bin sehr enttäuscht von meinem Smartphone!

Die Geschichte, aus der sich mein Smartphone Wörter entliehen hat, ist übrigens unter dem Titel „Staubsauger am Morgen“ sowohl auf dieser Plattform als auch in der Anthologie „Die Zeit fliegt mitsamt der Uhr“ zu finden.



Die Urgroßeltern des Smartphones

(Foto: N. N.)

OK, das Wählen mit dem Telefon ging damals etwas langsamer vonstatten, machte dafür aber ein angenehm surrendes Geräusch, und das Tippen von Buchstaben war vor allem laut und die Fehlerbeseitigung etwas mühseliger – aber alles in allem ein Fortschritt gegenüber den Zeiten, als man noch Gedanken in Stein meißeln oder zur Kontaktaufnahme Kuriere losschicken musste ...


DIALOGE

Chirurg: „Legen Sie das Handy bitte weg!“
Patient: „Gleich.“
Chirurg: „Nein, sofort!“
Patient: „Aber ich muss doch meinen ‚Facebook‘-Freunden
posten, dass die Narkose noch nicht wirkt!“

*

„Opa, wie konntet ihr damals ohne TV, Handy und Internet leben?“
„So, wie ihr heute ohne Liebe, Menschlichkeit, Zusammenhalt, Respekt, Wertschätzung und Vertrauen.“

*

„Papa, ich will 'ne Barbie!“
„Aber du hast doch schon so viele ...“
„Weiß Mama eigentlich, dass du zwei Handys hast?“
„Willst du die Ballerina oder die Sängerin?“


Buch
vs.
Smartphone

(Cartoon: © Tango)



Hinterm Mond

Timo Beil über das seltsame Verhältnis des Menschen
gegenüber Mobiltelefonen

(Grafik: © Frank R. Bulla)

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da musste ich – wenn ich mal Freunde anrufen wollte, die bereits über das Privileg verfügten, ein Telefon ihr eigen zu nennen – zur rund 250 Meter entfernten Telefonzelle marschieren. In ganz dringenden Fällen half dann aber auch schon mal ein Privilegierter aus der Nachbarwohnung mit dem seinerzeit noch äußerst seltenen Kommunikationsgerät aus. (Nebenbei bemerkt: Das war auch noch die gute alte Zeit, wo es in Mehrfamilienhäusern noch eine gut funktionierende Nachbarschaftshilfe gab: Wollte man spontan einen Kuchen backen und es fehlten einem noch zwei Eier oder ein Stückchen Margarine, lieh man sich dies kurzerhand beim Nachbarn – heutzutage ruft man einen Bringdienst an oder geht kurzerhand zur Tanke ...)

Mittlerweile dürfte es wohl in unserer Republik kaum mehr einen Haushalt geben, der über keinen Festnetz-Anschluss verfügt (abgesehen vielleicht vom Prekariat, wo man sich offenbar immerhin gern den Luxus erlaubt, sämtliche Telefonate nur noch per Handy zu führen). Manche Familien haben gar gleich mehrere Festnetz-Anschlüsse, und selbstverständlich besitzt jedes Familienmitglied – ja, selbst die Jüngsten – ein Handy! Allerdings gibt es hinsichtlich der Nutzungsquantität erhebliche Unterschiede:

Da ist der absolute Handy-Verweigerer, der das Handy „nur für den Notfall“ hat. Er trägt es (ausgeschaltet, versteht sich!) monate-, ja, vermutlich sogar jahrelang mit sich herum für den Fall, dass er sich mal irgendwo in der Wallachei (die er eigentlich nie aufsucht, weil das eh zu gefährlich ist) das Bein bricht und niemand zur Stelle ist, der ihm aus der Bredouille helfen kann. Sollte der Notfall mal eintreten, wird vermutlich der Akku völlig entleert sein; und falls nicht, weiß der User wohl kaum, wie man das Handy überhaupt bedient. Dennoch ist sein Willen ungebrochen, aller Welt seine Handy-Nummer mitzuteilen ...

Über den gewöhnlichen Handy-Nutzer braucht man an dieser Stelle eigentlich überhaupt nichts sagen. Aber über den exzessiven Handy-Nutzer, bei dem sich alles ums Handy zu drehen scheint; deswegen hat er schon seit längerem die Bezeichnung „Smombie“ weg (Kurzwort aus der Jugendsprache für „Smartphone-Zombie“). Er hat es ständig in der Hand, beim gehen, beim Radfahren, beim Autofahren, arbeitet geschäftig daran herum, simst, spielt, aktualisiert Adressen und Telefonnummern, hört MP3s, knipst Fotos, macht sich Notizen ... Legt er es dagegen mal aus der Hand, dann wird es dekorativ und stolz auf dem Tisch platziert, sodass es jeder jederzeit im Auge hat. Anrufe werden immer und überall entgegengenommen. Damit sich die für teures Geld heruntergeladenen modernen Klingeltöne auch lohnen, wird das Rufzeichen lange ausgekostet, bevor der Anruf mit einem lautstarken „hallo“ quittiert wird. (Sie kennen ja vielleicht aus der Comedy-Serie „Smack the Pony“ den Sketch mit dem überdimensionierten Mobiltelefon mit „Nokia“'s berühmtestem Klingelton und einem Herrn, der sich für so was von wichtig hält ...!?)

Ferner sei da noch der Handy-Besitzer genannt, der im Großen und Ganzen mit dem Handy umgehen kann, es aber tunlichst vermeidet, Anrufe oder SMS (vermutlich aus Kostengründen) zu beantworten. Zur Rede gestellt, hört man dann oft Sätze wie „Prepaid-Karte war leer“, „Akku war leer“ oder „Ich konnte nicht zurückrufen, weil deine / Ihre Nummer noch nicht gespeichert ist“ ...

Apropos: Das mit dem leeren Akku ist schon ein sonderbares Phänomen! Vermutlich verfällt mancher User zuweilen in den Glauben, dass ein kabelloser Empfang von Anrufen eigentlich ja irgendwie auch den kabellosen Empfang von Netzstrom impliziert.

Was jedenfalls die meisten Handy-User gemein haben: Es scheint zum guten Ton zu gehören, sich nicht mit Namen zu melden, wenn das mobile Gerät klingeltönt (aber diese zunehmende Unsitte kennen wir ja auch schon seit längerem von der fest montierten Quasselstrippe privater Nutzer). Gute Umgangsformen sind eben nichts fürs Mobiltelefon, ebensowenig gute Orthographie beim SMS-Schreiben – bloß gut, dass die legasthenischen Anwandlungen nicht Grundlage für die „PISA“-Studie sind, sonst kämen allein die Deutschen erst mit großem Abstand nach den australischen Aboriginees auf irgendeinem hohen dreistelligen Platz.

Aber für mich stellt das alles absolut kein Problem dar: Jedesmal wenn sich jemand nur mit „hallo“ meldet, sage ich „hier auch hallo“ (hier könnte die Entwicklung der software-mäßigen Stimmen-Erkennung fassen: eine echte Marktlücke!). Für das Lesen von Legastheniker-SMS habe ich eine spezielle Software in meinem Handy, die das Ganze in die deutsche Sprache übersetzt. Und immer wenn ich jemanden über einen längeren Zeitraum partout nicht über sein Handy erreichen kann, schaue ich einfach mal hinterm Mond nach, wo er aller Wahrscheinlichkeit nach lebt ...



Smombies

Krankhafter Zeitgeist

(Grafik: © Frank R. Bulla)

Vielleicht kennen Sie auch diesen „Postillon“-Beitrag: „Neue App warnt beim Gehen vor Kollisionen mit anderen Smartphone-Nutzern“? Dieser Beitrag wurde bereits im Jahre 2012 verfasst – und inzwischen gibt es kaum mehr eine Altersgruppe, mit der ich noch nicht kollidiert bin. Selbst Leute jenseits der 60 sind bereits dem Wahn verfallen.

Es gibt im Grunde genommen keinen öffentlichen Bereich mehr, wo man nicht irgendwen antrifft, der vor lauter Smartphone überhaupt nicht mehr so richtig mitbekommt, was um ihn herum passiert. Selbst eine normale Kommunikation leidet zuweilen, weil wenigstens einer der Beteiligten seinem Smartphone mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit schenkt wie seinem Gegenüber.

Dass beim Gebrauch von Fahrzeugen die Benutzung von Mobilgeräten ohne Freisprech-Einrichtung seit 2017 höhere Ordnungsgelder zu zahlen sind, ficht viele Leute nicht an. Autofahrer nehmen es offenbar in Kauf, im Falle des Ertapptwerdens 100 Euro berappen zu müssen und einen Punkt in Flensburg zu bekommen (wird dabei ein Unfall verursacht, bedeutet das übrigens zwei Punkte, 200 Euro und ein Monat Fahrverbot). Und Radfahrer scheint es ebenso wenig zu kümmern, dass das Vergehen mit 55 Euro zu Buche schlägt.

Genau genommen müssten auch viele Fußgänger wegen verkehrswidrigen Verhaltens belangt werden, überqueren doch viele von ihnen quasi blind Fußwege, Radwege, Straßen und stellen durchaus eine Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer dar.

Unsere Gesellschaft ist ganz schön krank.